(23.10.2023, 23:10)bluecat schrieb: [ -> ] (23.10.2023, 14:01)ST2-jsg schrieb: [ -> ]Speziell für Stromerfahrer in Deutschland bzw. der EU könnte folgender Entscheid der EuGH (Europäischer Gerichtshof) interessant sein.
Wenn Richter Verkahrspolitiker spielen.
In der Tat ist der Entscheid bemerkenswert und der Hintergrud tragisch.
Ein E-Bike Fahrer verursacht einen Unfall, an dessen Folgen er schliesslich stirbt und seine Haftpflichtversicherung kann sich mit einer juristischen Finte aus der Verantwortung stehlen.
Die Richter legten sich es so zurecht: Eine Haftplicht, die für KFZ gültig ist, kann nicht für Velos gültig sein, da diese - auch wenn sie nach dem Anrollen mit reiner Motorkraft fahren - weniger gefählich für Dritte sind.
Der Urteiltext legt aber nahe, dass die 45er nicht gemeint sind.
Keine KFZ-Haftpflicht-Versicherungspflicht für S-Pedelecs in Belgien:
Die Vorschriften für Speed-Pedelecs in Flandern sind eindeutig: Sie brauchen keine Versicherung für ein Speed-Pedelec, es sei denn, Sie haben ein Speed-Pedelec, das ohne Tretunterstützung schneller als 25 km/h fährt. In diesem Fall ist eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung obligatorisch.
Die Frage ist jetzt, ob die Unfallversicherung des Arbeitgebers die Schäden am Kraftfahrzeug des Unfallgegner ersetzen muss.
Der Ausgangsfall wird in den Punkten 10ff geschildert:
https://curia.europa.eu/juris/document/d...id=3033397
10 Am 14. Oktober 2017 wurde BV (im Folgenden: der Geschädigte) mit seinem Fahrrad mit Elektrounterstützung im öffentlichen Straßenverkehr von einem Auto angefahren, das bei KBC gemäß dem Gesetz vom 21. November 1989 versichert war. Er wurde schwer verletzt und verstarb am 11. April 2018. Für den Geschädigten war dieser Unfall ein „Wegeunfall“; P&V, die Arbeitsunfallversicherung seines Arbeitgebers, erbrachte Schadensersatzleistungen und trat dadurch in seine Rechte und die seiner Rechtsnachfolger ein.
11 P&V verklagte KBC vor der Politierechtbank West-Vlaanderen, afdeling Brugge (Polizeigericht Westflandern, Abteilung Brügge, Belgien) auf Erstattung ihrer Leistungen nach Art. 1382 des Oud Burgerlijk Wetboek (früheres belgisches Zivilgesetzbuch) oder Art. 29bis des Gesetzes vom 21. November 1989. KBC erhob ihrerseits Widerklage, mit der sie von P&V die Rückzahlung von Beträgen verlangte, die zu Unrecht gezahlt worden seien. Zu ihrer Verteidigung machte P&V im Rahmen von Art. 29bis geltend, dass der Geschädigte nicht als Fahrer eines Kraftfahrzeugs angesehen werden könne.
12 Mit Urteil vom 24. Oktober 2019 entschied das Polizeigericht, dass der Fahrer des betreffenden Autos den Unfall zwar nicht verursacht habe, dass aber nach Art. 29bis des Gesetzes vom 21. November 1989 KBC den Geschädigten und die in seine Rechte eingetretene P&V dennoch entschädigen müsse; der Geschädigte sei nämlich kein Fahrer eines Kraftfahrzeugs gewesen und folglich nach Art. 29bis entschädigungsberechtigt.
13 KBC legte gegen dieses Urteil Berufung bei der Rechtbank van eerste aanleg West-Vlaanderen, afdeling Brugge (Gericht Erster Instanz Westflandern, Abteilung Brügge, Belgien) ein. P&V legte Anschlussberufung ein.
14 Das Gericht Erster Instanz wies die Berufung mit Urteil vom 20. Mai 2021 ab und gab der Anschlussberufung statt. Zur Anwendung von Art. 29bis des Gesetzes vom 21. November 1989 stellte es insbesondere fest, dass der in diesem Artikel genannte Begriff „Kraftfahrzeug“ dem Begriff „Fahrzeug“ in Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2009/103 entspreche. Es führte aus, dass der Begriff „maschinell“ weder in dem Gesetz noch in der Richtlinie definiert werde, dieser Begriff aber gleichwohl eindeutig und der Ausdruck „maschinell angetrieben“ so zu verstehen sei, dass ein Kraftfahrzeug ein Fahrzeug sei, das ohne Muskelkraft bewegt werden könne. Daraus folge, dass ein Fahrrad kein Kraftfahrzeug im Sinne dieses Gesetzes sei, wenn es zwar über einen Hilfsmotor verfüge, der maschinelle Antrieb alleine jedoch das Fahrrad nicht in Bewegung setzen oder halten könne.
15 Das Gericht Erster Instanz stellte in Anbetracht der vom Hersteller des fraglichen Fahrrads mit Elektrounterstützung bereitgestellten Informationen fest, dass dessen Motor nur eine Tretunterstützung biete, dies auch für die Boost-Funktion des Motors gelte und diese Funktion nur nach Einsatz von Muskelkraft aktiviert werden könne, sei es durch Treten, durch Schieben oder Anschieben des Fahrrads. Deshalb sei der Geschädigte kein Fahrer eines Kraftfahrzeugs im Sinne von Art. 1 des Gesetzes vom 21. November 1989 und habe als „schwacher Verkehrsteilnehmer“ ebenso wie der Versicherer für Arbeitsunfälle, der in seine Rechte eingetreten sei, Anspruch auf Entschädigung nach Art. 29bis dieses Gesetzes.
16 KBC legte gegen das in Rn. 14 des vorliegenden Urteils genannte Urteil Kassationsbeschwerde vor dem Hof van Cassatie (Kassationshof, Belgien), dem vorlegenden Gericht, ein. Vor diesem Gericht macht KBC insbesondere geltend, dass die Definition des Begriffs „Kraftfahrzeug“ in Art. 1 des Gesetzes vom 21. November 1989 derjenigen des Begriffs „Fahrzeug“ in Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2009/103 entspreche. Folglich sei das belgische Recht gemäß dieser Richtlinie auszulegen.
17 In der Sache trägt KBC vor, da Art. 1 des Gesetzes vom 21. November 1989 nicht zwischen Fahrzeugen, die zum Verkehr zu Lande bestimmt seien und ausschließlich maschinell angetrieben werden könnten, und solchen, die auch maschinell angetrieben werden könnten, unterscheide, seien nur Fahrzeuge vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen, die ausschließlich mit Muskelkraft angetrieben würden. Daraus schließt sie, dass die Rechtbank van eerste aanleg West-Vlaanderen, afdeling Brugge (Gericht Erster Instanz Westflandern, Abteilung Brügge) den Begriff „Kraftfahrzeug“ verkannt und gegen die Art. 1 und 29bis des genannten Gesetzes und insbesondere gegen Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2009/103 verstoßen habe.
18 Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine Auslegung des Begriffs „Fahrzeug“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2009/103 erfordere.
19 Daher hat der Hof van Cassatie (Kassationshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2009/103 in der Fassung vor der Änderung durch die Richtlinie 2021/2118, der „Fahrzeug“ als „jedes maschinell angetriebene Kraftfahrzeug, welches zum Verkehr zu Lande bestimmt und nicht an Gleise gebunden ist, sowie die Anhänger, auch wenn sie nicht angekoppelt sind“, definiert, dahin auszulegen, dass ein Elektrofahrrad (Speed-Pedelec), dessen Motor nur Tretunterstützung bietet, so dass sich das Fahrrad nicht autonom, ohne Muskelkraft, sondern nur mittels eines Motors und Muskelkraft fortbewegen kann, und ein Elektrofahrrad, das mit einer Boost-Funktion ausgestattet ist, womit das Fahrrad bei Betätigung der Boost-Taste ohne Treten auf eine Geschwindigkeit von 20 km/h beschleunigt wird, wobei allerdings Muskelkraft erforderlich ist, um die Boost-Funktion benutzen zu können, keine Fahrzeuge im Sinne dieser Richtlinie sind?
Was bedeutet das für Deutschland?
Wenn ein S-Pedelec kein Fahrzeug im Sinne der Kraftfahrzeug-Gesetze ist, kann eigentlich eine Kraftfahrzeug-Haftpflicht-Versicherung nicht obligatorisch sein.
Also müsste man als
S-Pedelec-Fahrer im Falle eines verschuldeten Unfalls entweder aus eigener Tasche zahlen, oder eine (aktuell freiwillige) Privathaftpflichtversicherung in Anspruch nehmen, wie jeder Pedelec-Fahrer (bis 25 km/h) auch.
Bin gespannt...